Sixtinische Madonna

"Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500"

Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, von 26. Mai bis 26. August 2012

Neben der Mona Lisa im Pariser Louvre existiert auf der Welt wahrscheinlich nur ein anderes Gemälde, das eine vergleichbare Berümtheit erreichte: die Sixtinische Madonna. Im Jahre 2012 konnte dieses Meisterwerk der Dresdner Gemäldegalerie seinen 500. Geburtstag feiern, und zu dieser Gelegenheit organisierten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mehrere Ausstellungen mit wichtigen Leihgaben aus dem Ausland. Die letzte Ausstellung widmete sich nicht nur den Umstanden der Entstehung des Gemäldes, sondern auch dem Einfluss, welchen die Sixtinische Madonna in den folgenden Jahrhunderten bis in unsere Gegenwart ausstrahlte.

Schon Giorgio Vasari äußerte sich ausdrücklich in seinen Vitae de´piu eccelenti pittori (…) über das wichtige Kunstwerk Raffaels, das für die Benediktiner Mönche in Piacenza geschaffen wurde. Vasari beschreibt das Altargemälde als eine Darstellung der Madonna mit dem Heiligen Sixtus und der Heiligen Barbara und er bewertet das Kunstwerk als "völlig außerordentlich, einmalig". Der Auftrag für das Kunstwerk war höchst wahrscheinlich von Papst Julius II. Ausgegangen, der auch unter seinem Familiennamen della Rovere bekannt ist. Rovere heißt auf Italienisch Eiche. Obwohl sich der Papst nicht auf dem Gemälde darstellen ließ, ist in dem Gewand des heiligen Sixtus eine Anspielung an ihn verborgen: Wir sehen dort die Eichenblätter, und auch die Tiara in der unteren linken Ecke hat auf ihrer Spitze die Eichel. Der Heilige Sixtus war von 257-258 Bischof in Rom, und er wurde während einer Messe in der Gruft des Heiligen Calixtus ermordet. Das Kloster San Sisto in Piacenza wurde in der Mitte des 9. Jahrhunderts von der Kaiserin Angilberta gestiftet, die ihm die Reliquien der Heiligen Barbara vermachte, und von Kaiser Ludwig II., der die Gebeine des Heiligen Sixtus dem Kloster geschenkt hat. Seit Beginn des 13. Jahrhunderts war das Kloster direkt dem Papst unterstellt. Die Repräsentation der beiden Heiligen auf dem Altargemälde Raffaels ist also ganz logisch. Papst Sixtus IV. war überdies der Onkel von Julius II. und er bildet also eine weitere Anspielung auf die Familientradition der della Rovere. Piacenza war Anfang des 16. Jahrhunderts aber nicht das Dominium des Papstes, sondern gehörte dem französischem König Ludwig XII. Erst mittels einer geschickten Diplomatie und mit Hilfe der Schweizer Söldner gelang es dem Papst, es wieder seinem Staat anzugliedern. Am 26. Juli 1512 traf in Rom die Delegation aus Piacenza ein, und Julius II. sollte damals den Einwohnern des Ortes versprochen haben, dass er sich bei ihnen so bedanken wird, dass sie es nicht vergessen werden. Ob er damals die Sixtinische Madonna im Sinn hatte werden wir nicht mehr erfahren, aber spätestens bei der Weihe der Kirche im Jahr 1514 befindet sich Raffaels Bild auf dem Hauptaltar. Der Künstler kam im Jahr 1508 nach Rom aus Florenz. Er war damals erst 25 Jahre alt, aber hat sich gleich durchgesetzt. Der Papst hat ihm die Dekoration seiner Stanzen anvertraut, und Raffael bekam auch viele Aufträge von privaten Kunden. Von diesen ist in der Ausstellung die Madonna Garvagh (1510) zu sehen. Die großzügige Leihgabe aus dem Vatikan, die Madonna aus Foligno (1511/12), war in Dresden schon in der vorhergehenden Ausstellung zu sehen. Sie stellt einen wichtigen letzten Schritt zur Sixtinischen Madonna dar. Die Madonna mit dem Jesuskind ist auf der Tafel thronend auf den Wolken dargestellt, die sie von der unteren "irdischen" Sphäre abtrennen, wo die Heiligen und Auftraggeber dargestellt sind. In der Sixtinischen Madonna war zunächst die irdische Sphäre unterdrückt, so dass die Madonna als eine suggestive Offenbarung wirkt, die zu uns direkt aus den Wolken kommt.

Zu den wichtigsten Leihgaben in der Ausstellung zählte das Porträt von Julius II. aus den Uffizien in Florenz, geschaffen in den Jahren 1511/12, auf dem der Papst mit dem langen Vollbart dargestellt ist, den er so lange wachsen ließ, bis die Franzosen aus Italien vertrieben wurden. Ein wichtiges Exponat der Ausstellung war neben der Sixtinischen Madonna das berühmte Portät der Donna Velata (1512/13) aus dem Palazzo Pitti in Florenz, die Raffaels Typus einer schönen Frau ("bella donna") darstellt. Ihre Abbildung findet man auch in der Figur des Sixtinischen Madonna. Im Einführungsbereich der Ausstellung, der sich den Umständen der Entstehung der Sixtinischen Madonna widmete, waren noch weitere Zeichungen Raffaels zu sehen, unter anderen die Madonna mit dem Jesuskind aus Chatsworth und jene aus dem Ashmolean Museum in Oxford. Sie illustrierten die lebhafte, spielerische Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind, mit welcher Raffael eine künstlerische Innovation des Typus einleitete, der noch durch die charakteristischen ikonischen Repräsentationen eines Perugino oder Pinturicchio gegrägt war. Diese Künstler arbeiteten noch im mittelalterlichem Sinn mit der Hilfe von Schablonen. Raffael malte dagegen wirkliche Kinder und auch deswegen erreichten die zwei Engelchen am unteren Rand der Sixtinischen Madonna eine so hohe Popularität.

Ein weiterer innovativer Aspekt der Sixtinischen Madonna ist die Darstellung einer starken innerlichen Emotion im Gesichtsausdruck der Gottesmutter und ihres Kindes. Andreas Prater hat bemerkt, dass der ernsthafte Ausdruck der Madonna und des Jesuskindes vielleicht im Zusammenhang mit dem vor dem Gemälde stehendem Kreuz zu verstehen ist. Die Erschreckung der Mutter Gottes und ihres Kindes ist also eine Anspielung auf das zukünftige Martyrium. Die Darstellung der Emotionen in Raffaels Werk war in der Ausstellung durch eine einzigartige Zeichnung aus dem Pariser Louvre illustriert. Es handelte sich um eine Skizze für die Ausführung des Engels der Rache in den Wandmalereien der Stanzen im Vatikan.

Eine weitere Abteilung der Ausstellung widmete sich mittels schriftlicher Dokumente den Umständen des Kaufes des Gemäldes durch die Agenten von König August III. von Polen. Die Bilder Raffaels waren in ganz Europa der Stolz der königlichen Gemäldesammlungen und es überrascht deswegen nicht, dass sich der Agent von August III., Francesco Algarotti, im Jahre 1743 nach Italien begab, mit dem Ziel, für die sächsischen Sammlungen ein Gemälde des berühmtes Meister aus Urbino zu kaufen. Erst nach langer Verhandlung mit den Mönchen der Klosters San Sisto wurde das Gemälde gekauft und am ursprünglichem Platz durch eine Kopie ersetzt. Der Legende nach hatte der König August III. bei der Anfahrt des Gemäldes selbst die Möbel verschoben und er soll gesagt haben: "Platz für den großen Raffael!"

Trotzdem stand die Sixtinische Madonna lange Zeit im Schatten des berühmten Gemäldes Anbetung der Hirten von Corregio. In der Ausstellung wurden deswegen in einem Raum jene Bücher ausgestellt, durch welche die Madonna ihren Ruhm erreichte. Die erste ausgesprochen positive Bewertung des Gemäldes nach seiner Ausstellung in Dresden finden wir in den berühmten Gedancken über die Nachahmung (…) von Johann Joachim Winckelmann, der in Dresden in den Jahren 1754-55 lebte. Winckelmann schreibt über die "stille Größe und edle Einfalt" von Raffaels Madonna. Der Direktor der Dresdner Akademie Giovanni Battista Casanova hat im Jahre 1766 die Madonna Raffaels mit der Himmelfahrt Christi von Anton Raphael Mengs verglichen. Erst Georg Foster hat aber im Jahr 1784 die Rezeption und den Kult der Sixtinischen Madonna durch die Generation der Preromantiker vorbereitet. Wenige Monate nach Wieland, der über das Gemälde Raffaels mit einer religiösen Ehrfurcht berichtet, fuhr Heinrich Meyer nach Dresden. Er wollte ausgewählte Gemälde für die Weimarer Behausung von Carl August von Sachsen-Weimar kopieren. Als Goethe die Kopie der Sixtinischen Madonna von Meyer gesehen hat, hat er sie als ein Wunder bezeichnet, das den normalen Verstand übersteigt, und er bezeichnet die Madonna als "Der Mutter Urbild".

Im Jahre 1796 kamen die Dichter Wackenroder und Tieck in Dresden an, und sie lehnten Wickelmanns Kult der idealen Antike ab. Im folgenden Jahr erschienen die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, in welchen im Zusammenhang mit der Sixtinischen Madonna von der "Erscheinung Raffaels" die Rede ist. Wackenroder hat mit seinem Buch die Brüder Riepenhausen inspiriert, die ein Gemälde malten, in welchem sich Raffael im Traum die Madonna mit dem Kind offenbart. Eine von mehreren Versionen des Gemäldes Raffaels Traum (1821) war sogar im Besitz von Berthel Thorvaldsen. Die Sixtinische Madonna wurde schrittweise das Kultbild der deutschen Romantik. In der Zeitschrift der Bruder Schlegel Athenaeum, welche lange Zeit die Tribüne der Preromantik war, ist auch das Gespräch erschienen, in dem sich die Dichterin Louisa und der Dichter Waller mit dem Maler Reinhold über die Gemälde der Dresdener Gemäldegalerie unterhalten, und sie widmen sich mit besonderer Aufmerksamkeit der Sixtinischen Madonna. Wie man in der Ausstellung am Gemälde von Leopold Zielke sehen konnte, befand sich eine Kopie der Madonna von Johann Friedrich Bury im Arbeitszimmer von Friedrich Wilhelm III. Die Sixtinische Madonna wurde auch von Gehard von Kügelgen kopiert.

In den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde die Sixtinische Madonna durch Grafiken so berühmt, dass sie fast zu einer unterbewussten Ikone der Romantik wurde. In einer unauffälligen Version konnten wir sie auch im Hintergrund der Schlafenden Weberin (1838) von Wilhelm Schumann sehen. Leider waren in der Ausstellung keine Werke von Philipp Otto Runge, obwohl er von der Sixtinischen Madonna tief berührt war und sich von ihr auch für seine Allegorie des Morgens inspiriern ließ. Interessant ist aber die Rezeption Schopenhauers angedeutet, der im Jahr 1819 im Zusammenhang mit der Madonna über die Offenbarung des Willens und über die Besinnung der Endlichkeit schreibt. Auch Hegel und Nietsche interpretierten in ihrem Sinn die Sixtinische Madonna. Nietsche redet über eine Vision der zukünftigen Braut und über eine schöne und schweigende Frau. Am Ende des 19. Jahrhunderts erscheint letztendlich eine Interpretation, die durch die revolutionären Entdeckungen im Gebiet der Biologie beeinflusst ist: Richard Dehmel redet im Zusammenhang mit der Madonna empört über die Augen eines Tieres.

Der dritte Abschnitt der Ausstellung widmete sich dem Schicksal der Madonna im 20. Jahrhundert. Hier wurde der romantische Kult der Madonna, der im zweiten Teil der Ausstellung vorgestellt wurde, durch die witzige Collage von Kurt Schwitters Mz. 151 Wenzel Kind Madonna mit Pferd (1921) konterkariert. Die Collage entstand wahrscheinlich bei Gelegenheit einer Reise nach Prag, wo Schwitters ein "anti-dada" Theaterstück zusammen mit Raoul Hausmann vorstellte. In diesem Teil der Ausstellung wurden durch Ausschnitte aus Zeitungen auch die Schicksale der Madonna im zweiten Weltkrieg, die Ausstellung im Museum in Moskau im Jahr 1945 und ihre Rückkehr nach Dresden in den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts vorgestellt. In der letzten Abteilung der Ausstellung wurden Beispiele für Kitschobjekte gezeigt, die das Thema der Madonna oder der berühmten zwei Engelchen benutzten. Im Zusammenhang mit der temporären Präsentation der Madonna 1. Stock der Sempergalerie wurde auf dem üblichen Platz ein Werk der zeitgenössischen Künstlerin Katharina Gaenssler aufgehängt. Es handelt sich um einen großen Teppich, der die Madonna illusionistisch darstellt.